27.10.2025

Kunststück

Die Schlange in der Kunst

In Dürers „Adam und Eva“ erscheint die Schlange als Sinnbild der Versuchung und des Sündenfalls. Foto: Gemeinfrei, via: Wikimedia Commons
In Dürers „Adam und Eva“ erscheint die Schlange als Sinnbild der Versuchung und des Sündenfalls. Foto: Gemeinfrei, via: Wikimedia Commons

Seit Jahrtausenden zieht die Schlange den Blick der Menschen auf sich – und den der Künstler ganz besonders. Kaum ein anderes Tier ist in der Kunstgeschichte so vieldeutig aufgeladen, so wandelbar und zugleich so faszinierend. Ob als Symbol des Bösen, Zeichen der Weisheit oder Ausdruck von Verwandlung – die Schlange gleitet durch Mythen, Religionen und Stilrichtungen und hinterlässt dabei stets ihre Spur zwischen Faszination und Furcht.


Zwischen Urangst und Anziehung – die ambivalente Symbolik der Schlange

Die Schlange ist ein Symboltier mit zwei Gesichtern. In vielen Kulturen steht sie für Bedrohung und Täuschung, zugleich aber auch für Heilung und Erneuerung. Diese Ambivalenz macht sie für Künstler seit jeher interessant. In der christlichen Ikonografie erscheint sie als Verführerin im Paradies – die Gestalt, die Eva den Apfel reicht und damit den Sündenfall auslöst. Zahlreiche Maler, von Lucas Cranach d. Ä. bis Michelangelo, haben diese Szene dargestellt: Die geschmeidige, oft anthropomorph geformte Schlange windet sich um den Baum der Erkenntnis, ihr Blick fest auf Eva gerichtet – ihr Körper eine Metapher für Versuchung und Schuld.
Doch jenseits der Bibel war die Schlange auch Symbol für Wissen und Heil. In der Antike galt sie als Attribut des Asklepios (röm. Aesculapius), des Gottes der Heilkunst. Noch heute trägt das ärztliche Symbol – der Äskulapstab – eine sich darum windende Schlange. Häufig wird sie auch mit dem Caduceus des Hermes verwechselt, der zwei Schlangen zeigt, jedoch den Handel symbolisiert.


Antike und Renaissance – von der Göttin zum Dämon

In der griechischen und römischen Kunst begegnet uns die Schlange in vielen Rollen: als Hüterin heiliger Orte, als Begleiterin von Gottheiten (etwa Athene oder Hygieia) und als apotropäisches Symbol. Die Gorgo Medusa trug Schlangen im Haar – Sinnbild für das Unheimliche, das Weibliche und das Gefährliche zugleich. Die berühmte hellenistische Skulpturengruppe „Laokoon und seine Söhne“ (wahrscheinlich 1. Jh. v. Chr., heute im Vatikan) zeigt die Schlange als Werkzeug göttlicher Strafe: Zwei mächtige Tiere umschlingen den trojanischen Priester Laokoon und seine Kinder – ein Sinnbild für Schmerz, göttliche Vergeltung und das Unausweichliche des Schicksals. Zugleich erscheint die Schlange als Symbol für Weisheit, Unsterblichkeit und zyklische Erneuerung. Das Motiv des Ouroboros – einer Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt – steht seit der spätantiken und gnostischen Ikonografie für den ewigen Kreislauf von Leben und Tod, Anfang und Ende. Dieses Zeichen findet sich bis in alchemistische Schriften des Mittelalters und wird bis heute in künstlerischen und esoterischen Kontexten rezipiert.


Barock und Romantik – die Schlange als Spiegel der Seele

Im Barock wurde das Motiv häufig allegorisch verwendet. Sie verkörperte Versuchung, Eitelkeit und moralischen Verfall, aber auch die Schönheit des Verbotenen. Künstler wie Peter Paul Rubens und Jan Brueghel d. Ä. nutzten das Motiv in biblischen und mythologischen Kontexten – der glatte, schimmernde Körper der Schlange kontrastierte mit der zarten Haut der menschlichen Figuren und unterstrich die sinnliche Spannung. In der Romantik bekam sie eine neue, innerlich-psychologische Dimension. Maler wie Johann Heinrich Füssli oder Symbolisten wie Arnold Böcklin sahen in ihr nicht mehr nur das Sinnbild der Sünde, sondern ein Zeichen für das Unterbewusste und das Geheimnisvolle. Die Schlange wurde zum Ausdruck verborgener Triebe, ein Wesen zwischen Traum und Alptraum.

In Böcklins „Nereide und Triton“ schlängelt sich die Schlange als geheimnisvolles Symbol zwischen Erotik, Natur und Mythos. Foto: Neue Pinakothek, München, CC BY-SA 4.0
In Böcklins „Nereide und Triton“ schlängelt sich die Schlange als geheimnisvolles Symbol zwischen Erotik, Natur und Mythos. Foto: Neue Pinakothek, München, CC BY-SA 4.0

Moderne und Gegenwart – vom Verführertier zum Zeichen der Transformation

In der Kunst der Moderne erlebte die Schlange eine weitere Wandlung. Sie wurde weniger religiös, dafür umso individueller interpretiert. Bei Gustav Klimt windet sie sich golden und ornamenthaft durch mythologisch aufgeladene Bilder, etwa in „Hygieia“ (1900, Teil des Fakultätsbildes „Medizin“), wo sie als Zeichen weiblicher Macht, Wissen und Heilung erscheint. Auch in der Symbolik des Jugendstils fand das Motiv großen Anklang – ihre geschwungene, organische Form entsprach dem Ästhetikideal dieser Epoche. Später griffen Surrealisten wie Salvador Dalí oder Max Ernst die Schlange auf, um Themen wie Trieb, Verführung und Verwandlung visuell zu erforschen. In der zeitgenössischen Kunst steht die Schlange häufig für Wandel und Selbstermächtigung. Künstlerinnen wie Kiki Smith oder Marina Abramović nutzen sie als Sinnbild weiblicher Energie, Körperlichkeit und spiritueller Transformation. In Installationen, Performances oder Videos erscheint sie weniger als Bedrohung, vielmehr als Begleiterin der menschlichen Erkenntnis.

In Klimts Darstellung der Hygieia steht die Schlange für Heilung, Wissen und die Macht weiblicher Energie. Foto: Gemeinfrei, via: Wikimedia Commons
In Klimts Darstellung der Hygieia steht die Schlange für Heilung, Wissen und die Macht weiblicher Energie. Foto: Gemeinfrei, via: Wikimedia Commons

Zwischen Natur und Mythos 

Die Schlange ist eines der ältesten und zugleich wandlungsfähigsten Symbole in der Kunstgeschichte. Ihr Reiz liegt in der Spannweite ihrer Deutungen: Sie kann zart und schön, bedrohlich und tödlich, göttlich und irdisch zugleich sein. Künstler greifen dieses Spannungsfeld immer wieder auf, um Grundfragen des Menschseins zu verhandeln – über Schuld, Wissen, Veränderung und Erlösung. Auch in der Popkultur lebt das Bild fort: von Mode- und Schmuckdesigns über Tattoos bis hin zu digitalen Kunstprojekten. Marken wie Bulgari oder Serien wie American Horror Story zitieren bewusst die mythische Symbolik der Schlange.

 


Die ewige Versuchung

Vielleicht ist es genau diese Ambivalenz, die die Schlange so unvergänglich macht. Sie ist Versucherin und Heilerin, Symbol der Sünde und der Erkenntnis zugleich. In ihr bündeln sich Urängste und Sehnsüchte, Schönheit und Gefahr. Ob auf antiken Vasen, barocken Leinwänden oder in modernen Installationen – die Schlange erinnert uns daran, dass Kunst oft dort beginnt, wo Widerspruch und Faszination aufeinandertreffen. Und dass das, was uns verführt, nicht immer das ist, wovor wir uns schützen sollten – sondern manchmal genau das, was uns verstehen lässt, wer wir wirklich sind.

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