Carl Auböck war nicht nur ein vielseitiger Architekt und leidenschaftlicher Designer, sondern auch ein Visionär. Fest davon überzeugt, dass eine durchdachte Umgebung alles umfassen sollte – von den kleinsten persönlichen Gegenstäden wie Schlüsselanhänger bis hin zu groß angelegten Wohnanlagen – ging er jede Aufgabe pragmatisch und lösungsorientert an. Eine Ausstellung im Wiener Architekturzentrum widmet sich nun seinem Nachlass.
Am Eingang zur Ausstellung stapeln sich Kisten. In einem Regal ein paar Schritte weiter fällt ein elegantes Designer-Besteck ins Auge. Weiter im Raum befinden sich Zeichnungen für Skimode, Fotografien eines modernistischen Wohnkomplexes, eine für die 1970er Jahre typische polygonale Megastruktur, dahinter ein Entwurf für minimalistische Trinkgläser und – Skibrillen.
Wir befinden uns im Architekturzentrum Wien (AZW). Zu sehen ist derzeit die Ausstellung „Vom Geschirr zum Fertighaus: Der Architekt und Designer Carl Auböck (1924-1993)“. In diesem Jahr wäre er 100 Jahre alt geworden. Seine Familie war tief in der Kunst und im Handwerk verwurzelt – der Großvater war Goldschmied, der Vater Maler und die Mutter Bildhauerin und Textilkünstlerin. Der 1924 in Wien geborene Carl Auböck gehörte zu jenen kreativen Köpfen, die sich nicht auf eine bestimmte Aufgabe festlegen ließen. Nach seinem Einsatz im zweiten Weltkrieg erlernte er das Handwerk Gürtler und Ziseleur im Betrieb des Vaters, gleichzeitig studierte er Architektur.
Architektur und Kunst als Auböck-Familientradition
Carl Auböck hatte einen weitreichenden Blick auf Architektur und Design. „Es ist egal, ob man einen Stadtteil oder ein Essbesteck entwirft, es ist beides Design.“ erklärte er. Diese Einstellung veranlasste ihn dazu, über Design in einer Weise nachzudenken, die über die traditionellen Kategorien hinausgeht. Seine kreative Arbeit reichte von der Stadtplanung über den Bau von Einfamilienhäusern und Wohnblocks bis hin zur Gestaltung von Alltagsgegenständen wie Besteck, Fondue-Geschirr und Skiausrüstung. Ihm ging es um Design und seinen größeren Kontext. Carl Auböck verlangte von gutem Design, dass Dinge nicht nur schön, sondern nützlich sind. Außerdem sollten sie am Markt reüssieren. Als Lehrer der Meisterklasse an der Universität für angewandte Kunst war ihm dieser Aspekt besonders wichtig. Seine Studierenden sollten in der Lage sein, von ihrer Arbeit leben zu können.
Die Vielseitigkeit eines kreativen Geistes
Nicht allzu viele Architekten haben sich so weit in den Alltag vorgewagt. Während Möbel und ganze Interieurs oft von Architekten entworfen wurden – man denke an Josef Hoffmann, Walter Gropius oder Margarete Schütte-Lihotzky – finden sich in Auböcks abstrakten Architekturplänen Details wie ein Rasenmäher oder eine bestimmte Pflanze. Er ließ sich von der Ulmer Hochschule für Gestaltung und dem MIT Boston inspirieren, wo er die Vorfertigung von Bauteilen erlernte. Dort traf er nicht nur die Bauhausprofessoren Walter Gropius und Herbert Bayer wieder, er lernte auch Charles Eames und George Nelson kennen.
Seine Erfahrungen am MIT waren Auslöser für die Einführung der Fertigteilbauweise in Österreich. Von einem breiteren Publikum wurde Carl Auböck wahrgenommen, als er mit seinem Architektenkollegen Roland Rainer an einer Fertighaussiedlung in Wien, Veitingergasse, arbeitete. Es folgten weitere Projekte und sein Netzwerk erweiterte sich stets. Seine Auftraggeber kamen aus dem industriellen und kulturellen Bereich der Gesellschaft.
Auböcks Werk als Living Archive
Das Architekturzentrum Wien erhielt erst Anfang dieses Jahres den umfangreichen Nachlass des Architekten. Es war sofort klar, dass eine chronologisch geordnete Retrospektive in diesem kurzen Zeitrahmen nicht möglich sein würde – daher entschieden sich die Kuratorinnen für das Format „Living Archive“.
Das bedeutet, dass der Prozess der Erkundung der Sammlung für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Die Kisten am Eingang werden nach und nach „ausgepackt“. Wenn man also nach einem ersten Besuch wiederkommt, gibt es jedes Mal neue Objekte und Austellungsdetails. Dieses Format bietet einen dynamischeren Ansatz für die Gestaltung und weckt Neugierde, da es sich von der üblichen statischen Präsentation löst. Der Raum wirkt wie eine Mischung aus Atelier und Lager und fordert die Besucher:innen zum Erkunden auf, anstatt nur eine ausgefeilte, vorkuratierte Ausstellung vorzuführen. Es geht nicht um eine fertige Geschichte, sondern eine Einladung, in die Archive einzutauchen und den Prozess mit zu erleben.
Kreative Prozesse
Selbst die Kuratorinnen wissen nicht genau, was in der nächsten Kiste sein wird. Zudem gibt es einen Hands-On Bereich, der zur Interaktion einlädt. Ausgestattet mit Handschuhen kann man kann Fotoalben, Mappen und Skizzenbücher aus den Regalen nehmen und selbst darin blättern. Man erlebt den Kontext mit, indem man in der Korrespondenz mit Kunden, Universitätsvorlesungen, Pressemitteilungen, unveröffentlichten Ideen und nicht zuletzt Gebäudebeschreibungen blättert. Es gibt Details, die in einer traditionellen Ausstellung nicht gezeigt würden. So kann man nachvollziehen, warum Projekte zustande kommen oder warum sie scheitern. Normalerweise haben nur Forscher*innen Einblick in solche Materialien.
Entfaltung der Vision
Ziel der Kuratorinnen ist es, ein authentisches Verständnis für diese Art von Arbeit zu vermitteln – sowohl für den Prozess des Schaffens als auch für ihre eigenen Bemühungen, diesen zu präsentieren. Die Besucher:innen erhalten einen Einblick in die verschiedenen Phasen, die zum Endprodukt führen, und erfahren, was Sortieren und Archivieren wirklich bedeuten. Es geht nicht nur um Entwürfe und Fotos. Die Sammlung umfasst so viel mehr Materialien. Die Ausstellung unterstreicht auch die Bedeutung der Beziehung zwischen Auftraggeber und der Schaffung einer praktischen Lösung. Carl Auböcks Denkweise könnte die Wirtschaft dazu inspirieren, die Beziehung zu Architekt:innen und Designer:innen neu zu aktivieren. Wäre er heute am Leben, würde er sich sofort daran machen, etwas Nützliches zu entwerfen, zum Beispiel leistungsstarke und zugleich ästhetisch ansprechende Photovoltaik- und Windkraftanlagen, glauben die Kuratorinnen. Er würde erkennen, wie wichtig es ist, sich zu engagieren.
Informationen
Die Ausstellung. “Vom Geschirr zum Fertighaus: Der Architekt und Designer Carl Auböck (1924-1993)“ im Architekturzentrum Wien ist noch bis zum 4. November täglich zu besichtigen.
Zur Ausstellung ist das Buch “Carl Auböck (1924-1993), Design für ein modernes Leben” von Marion Kuzmany erschienen.