20.10.2025

Kunststück

Der Esel in der Kunst

Der Esel in der Kunst: Von biblischen Darstellungen über historische Symbolik bis hin zu moderner Malerei und zeitgenössischen Interpretationen. Foto: Gemeinfrei, via: Wikioo
Der Esel in der Kunst: Von biblischen Darstellungen über historische Symbolik bis hin zu moderner Malerei und zeitgenössischen Interpretationen. Foto: Gemeinfrei, via: Wikioo

Der Esel hat in der Kunstgeschichte einen festen Platz – als Lasttier, Symbol der Bescheidenheit und stiller Beobachter menschlicher Dramen. Von der biblischen Ikonografie bis zur modernen Malerei taucht er immer wieder auf – mal als treuer Begleiter, mal als Spiegel menschlicher Eigenheiten. Obwohl er selten im Rampenlicht steht, verrät sein Auftritt oft mehr über die Gesellschaft als die Helden, die auf ihm reiten.

Die meisten von uns kennen den Esel gemeinsam mit dem Ochsen im Stall stehend im Zusammenhang mit der Geburt Christi. Tatsächlich werden diese Tiere in den neutestamentarischen Berichten über die Geburt nicht erwähnt; ihre Präsenz entstand erst durch die kunsthistorische Tradition, die das einfache, geduldige Tier als Symbol für Bescheidenheit und Ruhe interpretierte. Lange Zeit war der Esel im Mittelmeerraum das wichtigste Reittier. Er galt als edel, geschickt, klug und geduldig. Mit der Einführung des Pferdes im sechsten Jahrhundert vor Christus wandelte sich seine Rolle: Der Esel wurde zunehmend zum Lasttier degradiert, und damit einhergehend wurde auch seine symbolische Bedeutung abgewertet.


Vom Stall ins Bild: Die frühen Darstellungen des Esels

Bereits in den frühesten Hochkulturen wurde der Esel künstlerisch dargestellt. In ägyptischen Grabmalereien sieht man ihn als unermüdliches Arbeitstier, ein Symbol für Beständigkeit und Versorgung. Auch in der Antike war er präsent – auf griechischen Vasen, römischen Reliefs und Münzen, oft in Verbindung mit bäuerlicher Arbeit oder mythologischen Szenen. Besonders interessant ist seine Verbindung zum Gott Dionysos und der Göttin Demeter, er gehört zu ihren Gefolgstieren. Zudem taucht er auch im Mythos des Silen auf, dem er als Reittier dient. Eine recht bekannte Geschichte ist die des Königs Midas, die von Ovid überliefert ist. König Midas ist beim Wettstreit des Gottes Apollon mit dem Hirtengott Pan anwesend. Tmolos, eine Berggottheit fungiert als Schiedsrichter und kürt Apollon zum Sieger. Midas protestiert: Ihm hat das Spiel des Pans mit der Panflöte bessergefallen, als das Apollons Präsentation mit der Kithara. Daraufhin straft Apollon Midas mi Eselsohren.
Mit dem Aufkommen des Christentums erhielt das Tier eine neue, tiefere Bedeutung. In der biblischen Kunst wird der Esel zum Symbol der Demut und des Friedens. Besonders eindrucksvoll: Giottos Darstellung des Einzugs Jesu in Jerusalem (um 1305) in der Scrovegni-Kapelle. Hier trägt das Tier die göttliche Figur ohne Pracht, aber mit Würde. Der Esel wird so zur Verkörperung des christlichen Ideals: stark im Stillen, würdevoll im Einfachen. Aber auch auf der Flucht aus Ägypten spielt er als Reittier eine wichtige Rolle. Maria, die mit Jesus schwanger ist, reitet auf ihm.

Der Esel dient Christus bei seinem Einzug nach Jerusalem als Reittier. Foto: Gemeinfrei, via: Wikimedia Commons

Mittelalter bis zum Barock

Im Mittelalter taucht der Esel häufig in Szenen der Geburt Christi auf – an der Seite der Jungfrau Maria in der Krippe, neben dem Ochsen. Diese Konstellation, bekannt aus unzähligen Altarbildern und Fresken, steht für das Einfache, Menschliche und Erdverbundene. Künstler wie Fra Angelico, Ambrogio Lorenzetti oder Hieronymus Bosch setzten den Esel als ruhenden Pol ein – als Symbol der Geduld inmitten des Göttlichen.
Gleichzeitig diente der Esel in der mittelalterlichen Buchmalerei und Satire als Sinnbild der Torheit. Miniaturen zeigen Mönche mit Eselsohren, Narren in Priesterkleidung – eine feine Kritik an Hochmut und Überheblichkeit. Rembrandt widmet sich in seinem Gemälde „Der Prophet Bileam und die Eselin“ einer Geschichte aus dem Alten Testament. Zu sehen ist der Prophet, wie er auf seiner Eselin reitet und gerade einen Stock zum Schlag ausgeholt hat. Die Eselin hat jedoch etwas gesehen, das Bileam nicht bemerkt: Ein Engel des Herrn versperrt den Weg. Die Eselin bleibt stehen, weicht aus und spricht schließlich zu Bileam: „Was habe ich dir getan, dass du mich jetzt schon zum dritten Mal schlägst?“. Daraufhin öffnet Gott ihm die Augen und lässt den Propheten den Engel mit dem Schwert sehen. Bileam erkennt nun, dass er gesündigt hat. Rembrandt hebt in seinem Gemälde die dramatische Spannung zwischen göttlicher Warnung, menschlicher Wut und tierischer Weisheit meisterhaft hervor, wodurch der Esel oder die Eselin zum aktiven Symbol für Einsicht und göttliche Fügung wird.


Ein Tier der Zwischentöne: Der Esel als Spiegel der Künstlerseele

Im 20. Jahrhundert trat der Esel in ganz neuen Rollen auf. Pablo Picasso malte in seiner Rosa Periode mehrere Darstellungen des Tiers, etwa in „Femme à l’âne“, und verband Zärtlichkeit und Einfachheit. Marc Chagall ließ den Esel in schwebenden Szenen über Dörfern erscheinen, wie in „Der Esel und die Geige“, als poetischer Bote zwischen Himmel und Erde. So wurde der Esel zum Symbol der Ambivalenz: Reinheit, Demut und zugleich Ausdruck menschlicher Sehnsucht.
In der modernen Kunst ist der Esel oft weniger Motiv als Metapher. Franz Marc beschrieb die Welt aus der Perspektive der Tiere und bemerkte, dass der Blick eines Esels „traurig und wissend zugleich“ wirkt – eine Interpretation, die seine symbolische Kraft unterstreicht. Ein bekanntes Werk von ihm ist der „Eselsfries“, der auch ein wichtiger Schritt in der künstlerischen Entwicklung des Malers war. Inspiriert von einem ägyptischen Relief schuf er eine friesartige Anordnung der Esel.
Der Esel bleibt damit ein Chamäleon der Bedeutungen. Ob religiös, poetisch oder politisch – seine Präsenz fordert den Betrachter auf, über Werte wie Geduld, Demut und Würde nachzudenken. Der Esel mag in der Kunst weniger auffällig sein als Pferde oder Löwen, doch seine symbolische Kraft ist ungebrochen. Er verkörpert das Unspektakuläre, das Beharrliche, das Sanfte. In einer Welt voller Lärm erinnert uns der Esel an Stille, Geduld und die Würde des Einfachen. Und so bleibt er, wie seit Jahrhunderten, ein stiller Zeuge menschlicher Kulturgeschichte – ein Tier, das in seiner Bescheidenheit oft mehr erzählt als die Helden, die ihn begleiten.

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