Licht, Staub und Insekten sind ihr Feind: In der Königlichen Wandteppichmanufaktur De Wit in Mechelen werden antike Tapisserien restauriert, dank eines selbst entwickelten und patentierten Reinigungssystems.
Für Reiche und Mächtige
Bereits im frühen Mittelalter wurden mit ihnen meist kirchliche Bauwerke dekoriert. Die Motive der in Klöstern angefertigten Tapisserien waren religiös, änderten sich aber im höfischen Kontext, als die Wandteppiche auch für die adelige Schicht hergestellt wurden. Bei Staatsbesuchen und zeremoniellen Feierlichkeiten hingen die kunstvollen Wandbehänge in Innenräumen und auch an den Außenfassaden. Darüber hinaus dienten sie als Raumteiler, um eine verbesserte Akustik zu gewähren und Burgmauern vor Kälte und Windzug zu isolieren. Als Auftragsarbeiten orientierten sie sich an den Maßen der jeweiligen Räume, großformatige Tapisserien konnten gar ganze Raumfolgen ausschmücken. Lange Zeit waren sie nur den Reichen und Mächtigen vorbehalten, denn ihre Herstellung konnte schon mal mehrere Jahre veranschlagen. Immerhin ließen sich Tapisserien zusammengerollt gut transportieren und an beliebigen Orten zu Repräsentationszwecken aufhängen.
Vom Papier an die Wand
Ein Vertrag zwischen Auftraggeber und Tapisseriehändler, der für die Werkstatt die Konditionen festlegte, beinhaltete Angaben über die Funktion, das Material und die Größe der Tapisserie. Der Auftraggeber wählte den Maler und legte mit diesem die Bildmotive fest. Sollten Fäden aus Seide, Gold oder Silber verwendet werden, erhöhte das den Preis. Zuerst wurde ein kleiner Entwurf auf Papier angefertigt. Dieser wurde zu einer Zeichnung vergrößert. Die Werkstätten setzten danach die Vorlage ins textile Bild um. Zu den bedeutendsten Zentren der Wirkerei gehörten im späten Mittelalter die Städte Konstanz, Basel und Straßburg. Von Brüssel bis Tournai wurden die südlichen Niederlande, die aufgrund ihrer Nähe zu England den Wollhandel kontrollierten, danach zum Hauptproduktionsgebiet. Als „Gobelins“ gelten übrigens nur Wandteppiche aus der Pariser Manufacture des Gobelins.
Königliche Techniken
Heute bewahrt Mechelen nördlich von Brüssel die Tradition der flämischen Tapisseriekunst. In dem Backsteinbau der Abtei Tongerlo von 1484 befindet sich die Königliche Tapisseriemanufaktur De Wit. Geleitet wird sie seit 1889 in fünfter Generation von der Familie De Wit. Der Gründer Theophiel De Wit lernte als Lehrling bei der französischen Firma Braquenié in Mechelen die Kniffe des Handwerks. Seine ersten Erfolge erlangte er durch die Anpassung an den lokalen Geschmack, der lediglich Reproduktionen oder Variationen der berühmtesten Wandteppiche der Vergangenheit verlangte. Innerhalb weniger Jahre nach der Übergabe der Verantwortung an seinen Sohn Gaspard hatte sich die Zahl der Webstühle und Mitarbeiter verdreifacht. Man beauftragte zeitgenössische Künstler mit den Motiven und überstand mit staatlicher Unterstützung die Wirtschaftskrise von 1929. Anfang der 1980er-Jahre stellte man das Konzept schließlich wegen mangelnder Nachfrage um und verlegte den Fokus auf den Handel, das Sammeln und vor allem die Techniken der Konservierung und Restaurierung historischer Stücke. Die Firma erwarb zu dieser Zeit auch die Abtei Tongerlo in der Altstadt, um dort die Werkstätten einzurichten.
Gefalltet statt gerollt
Inzwischen ist die Manufaktur durch die einzigartige Infrastruktur, die alle Aspekte der Behandlung antiker Wandteppiche innerhalb desselben Labors konzentriert, weltführend darin, die in die Jahre gekommenen Bilder aus Wolle und Seide zu erhalten. Sie spielt auch eine Vorreiterrolle bei der Entwicklung neuer Techniken. Schäden entstehen zumeist durch das Wirken von Insekten, Staub, Wasser und Licht. Auch Nägel und Schrauben hinterlassen Spuren. Dazu gesellen sich unsachgemäße frühere Reparaturen und falsche Lagerung, wenn die Stoffe etwa gefaltet statt gerollt wurden.
Langwieriger Prozess
In der Vergangenheit war es üblich, Wandteppiche in provisorischen Bädern aus Polyethylen und Kunststoffrohren zu waschen. Die Reinigung erforderte große Mengen enthärtetes und entionisiertes Wasser sowie eine ausreichende Entwässerung. Der Wandteppich wurde vollständig in das Bad eingetaucht. Außerdem war eine mechanische Einwirkung in Form eines Schwamms unerlässlich. Damit die gesamte Oberfläche des Wandteppichs die gleiche Behandlung erfuhr, wurde er auf einer Rolle im Bad gerollt. Durch das wiederholte Auf- und Abrollen war das Gewebe erheblichen Belastungen ausgesetzt. Durch die mechanische Einwirkung konnten empfindliche Fäden beschädigt werden. Der Prozess war langwierig und das Trocknen konnte zwischen 12 und 24 Stunden dauern, sodass sich potenziell flüchtige Farbstoffe ausbreiten konnten.
Feinste Farben
Pierre Maes, der Sohn von Yvan Maes De Wit, leitet ein Team von 15 Restauratorinnen und Kunsthistorikern an, das sich durch Räume voller bunter Wollknäuel bewegt. Frauen in weißen Kitteln beugen sich über lange Restaurationsstühle, auf denen jahrhundertealte Wandteppiche aufgespannt sind. Sie verfügen über eine Handvoll Spulen aus feiner Wolle und Seide in unzähligen Farbtönen: Ocker, Bronzegrün, Blau und Karminrot. Sie wurden so ausgewählt, dass sie farblich in die beschädigte Weberei passen. „Unsere Arbeit besteht darin, den Stoff mit einem auf der Rückseite platzierten Leinentuch zu stabilisieren, das mit diesen Seidenfäden vernäht wird. Bei größeren Lücken versuchen wir den Wandteppich nicht identisch zu überarbeiten, sondern diese Lücken durch minimalistische Eingriffe in die Komposition zu integrieren“, sagt Pierre Maes. „Wenn wir Wandteppiche restaurieren, weben wir nicht einfach Gold oder Silber unter, nur damit es besser aussieht oder hochwertiger erscheint. Jedes Stück gibt uns die große Linie seiner Komposition selbst vor – und danach richten wir uns.“
Riskante Angelegenheit
Die Manufaktur färbt die verwendeten Seiden- und Baumwollfäden mitunter in ihrem Labor selbst mit Hunderten von synthetischen Pigmenten, um die Farben der Wandteppiche zu erhalten und die Qualität zu gewährleisten. Bevor sie diese Schritte einleiten können, müssen die Stücke aber erst gereinigt werden. Die hier verwendete Aerosol-Saugreinigungsmethode hat man vor über 30 Jahren patentieren lassen. Das Saugverfahren hat sich inzwischen in der gesamten Museumswelt als Benchmark-Methode für die Reinigung antiker Stoffe etabliert. Das Waschen ist ein riskanter Schritt: Im Laufe der Jahre ist die Baumwolle oft ausgefranst, die Seide wurde unter der Wirkung von Zeit und Licht nicht selten pulverisiert. Der wissenschaftliche Ansatz, bei dem jeder Schritt sorgfältig aufgezeichnet und dokumentiert wird, hat Maßstäbe gesetzt.
Ausgeklügeltes System
Das System verwendet eine Kombination aus Aerosolspray und Vakuumabsaugung. Es ist mit integrierten Sensoren zur Steuerung von pH-Wert, Temperatur, Wasserdurchfluss und Druck ausgestattet. Die Anlage besteht aus einer geschlossenen Kammer mit Glasscheiben. Die Basis bildet ein großer Saugtisch 5 x 9 Meter. An der Decke sind 45 Aerosolsprays angebracht, etwa 1,75 Meter über der Plattform. Während des Reinigungsvorgangs wird der Wandteppich durch kontinuierliches Absaugen an Ort und Stelle gehalten. Wenn das Aerosol eingeschaltet wird, füllt sich die Kammer mit Wasserdampf, der gleichmäßig durch den gesamten Wandteppich gezogen wird. Eine geringe Konzentration eines nichtionischen Reinigungsmittels wird so lange in das Aerosolsystem eingebracht, wie es für die Schmutzentfernung als notwendig erachtet wird. Dieses wird beim Spülvorgang durch enthärtetes und anschließend entionisiertes Wasser ersetzt.
„Dame mit dem Einhorn“
Die anschließende Trocknung erfolgt unter 30 Grad. Dabei fließen instabile Farben ins Auffangbecken. Diese Prozedur dauert einschließlich Trocknung etwa acht Stunden und wird durch eine Reihe von Computern und chemischen Tests gesteuert. Den Vorgang haben schon Berühmtheiten wie die „Dame mit dem Einhorn“ aus dem Pariser Musée de Cluny absolviert, „Los Honores und Los Paños de Oro“ aus dem Patrimonio Nacional in Spanien oder der „Le Dais“-Wandteppich von Charles VII. aus dem Louvre. Zu den Stammkunden gehören auch Privatsammler und wichtige Kollektionen, etwa Spaniens Patrimonio Nacional, das Kunsthistorische Museum in Wien, Frankreichs Mobilier national und der Louvre, das Bayerische Nationalmuseum in München oder der National Trust Großbritanniens. „Wir sind in der glücklichen Lage, die wichtigsten und schönsten Restaurierungsaufträge auszuführen, die international vergeben werden“, sagt Pierre Maes. Und in seinen und den Händen seines hoch konzentrierten Teams erfahren sie die Fürsorge, die diesen auf Kunstmessen wie der TEFAF in Maastricht oder der BRAFA in Brüssel hochgehandelten Kostbarkeiten gebührt.
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