03.11.2025

Kunststück

Das Schwein in der Kunst

Die kalydonische Wildschweinjagd ist ein bekanntes Thema der Kunstgeschichte. Foto: Hermann Junghans, Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0 de, via: Wikimedia Commons
Die kalydonische Wildschweinjagd ist ein bekanntes Thema der Kunstgeschichte. Foto: Hermann Junghans, Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0 de, via: Wikimedia Commons

Kaum ein Tier ist in der Kunstgeschichte so vielschichtig dargestellt worden wie das Schwein. Zwischen Glücksbringer und Sinnbild der Maßlosigkeit, zwischen bäuerlichem Alltag und mythologischer Bestie taucht es seit Jahrtausenden in Bildern, Skulpturen und Mythen auf. Ob in Antike, Mittelalter oder Moderne – das Schwein ist weit mehr als ein Bauernmotiv: Es erzählt von den Widersprüchen menschlicher Natur.

Die bekannteste Darstellung des Schweins in der antiken Kunst ist der kalydonische Eber aus der griechischen Mythologie. Artemis sandte das Tier, um das Land Kalydon zu verwüsten, weil König Oineus sie beim Opfer übergangen hatte. Die Jagd auf das Monster – an der Helden wie Meleager, Atalante, Kastor, Polydeukes und Theseus teilnahmen – wurde zu einem zentralen Thema der antiken Bildkunst. Auf Vasenmalereien, Reliefs und Sarkophagen erscheint der Kampf als Sinnbild menschlichen Mutes und göttlichen Zorns. Besonders im hellenistischen Stil erhält der Eber eine dramatische Präsenz: aufbäumend, von Speeren durchbohrt, zugleich wild und heroisch. Er steht hier nicht für das gewöhnliche Schwein, sondern für das Unbändige, das der Mensch zu zähmen sucht – Sinnbild der Grenze zwischen Natur und Kultur. Künstler späterer Jahrhunderte griffen das Motiv auf: In barocken Gemälden von Peter Paul Rubens oder Nicolas Poussin verschmilzt die antike Fabel mit heroischer Bewegung und theatralischer Dramatik.


Vom Symbol der Völlerei zur bäuerlichen Wirklichkeit

Mit der Christianisierung wandelte sich die Bedeutung des Tieres grundlegend. In mittelalterlicher Ikonographie wurde das Schwein häufig mit Lastern in Verbindung gebracht – insbesondere mit Gula, der Völlerei, einer der sieben Todsünden. Es galt als Sinnbild der Unmäßigkeit, Triebhaftigkeit und Unreinheit. Zugleich war das Schwein in der Alltagskultur ein unverzichtbares Nutztier. In Monatsbildern, Altären oder Holzschnitten erscheint es als Teil bäuerlicher Szenen, Symbol von Fruchtbarkeit und Lebensunterhalt. Diese Doppeldeutigkeit – Laster und Lebensgrundlage zugleich – machte das Tier zum spannenden Motiv künstlerischer Reflexion. In der niederländischen Genremalerei des 16. und 17. Jahrhunderts taucht das Schwein immer wieder auf: in den dörflichen Szenen Pieter Bruegels d. Ä., bei Adriaen van Ostade oder Jan Steen. Dort steht es für irdische Lebensfreude, ausgelassene Feste und zugleich für menschliche Schwächen – heiter und moralisch zugleich.


Das Schwein als heiliges Tier

Ganz anders fiel die Deutung in anderen Kulturen aus. In keltischen und nordischen Mythen galt der Eber als heiliges Tier, Symbol von Mut, Fruchtbarkeit und Erneuerung. Der goldborstige Eber Gullinborsti war das Reittier des Gottes Freyr; seine glänzende Mähne leuchtete über Himmel und Erde. Auch in keltischer Kunst und Grabbeigaben erscheint der Eber als Schutzsymbol und Begleiter der Krieger ins Jenseits. In der römischen Antike hatte das Schwein eine religiöse Funktion als Opfertier. Beim foedus ferire, dem heiligen Friedensschluss, wurde ein Schwein geopfert, um Bündnisse zu bekräftigen. Reliefs und Münzen zeigen das Tier als Zeichen göttlicher Bestätigung – als Medium zwischen Menschen und Göttern.


Zwischen Allegorie und Moderne – das Schwein als Spiegel des Menschen

Im 19. Jahrhundert gewann das Tier in der Kunst einen neuen Realismus. Maler wie Jean-François Millet oder Wilhelm Leibl stellten das Landleben mit Respekt und Empathie dar: Das Schwein erscheint hier nüchtern, ohne Spott – als Teil eines bäuerlichen Kosmos. In der Moderne wurde das Motiv zu einem Symbol gesellschaftlicher Kritik. Künstler wie Otto Dix oder George Grosz nutzten die Schweinegestalt, um menschliche Habgier, Kriegsbefürwortung und moralische Dekadenz anzuprangern. Aus der mythologischen Kreatur der Antike wurde ein Spiegel einer entmenschlichten Zivilisation. Auch in der Pop-Art und zeitgenössischen Kunst lebt das Motiv weiter. Jeff Koons oder Damien Hirst spielen mit der Ambivalenz des Tieres – zugleich süß, banal, provokant und symbolisch tiefgründig. Das Schwein erscheint als glänzende Skulptur, Comicfigur oder Objektkitsch – doch unter seiner Oberfläche bleibt die Erinnerung an seine alte Bedeutung: Trieb, Fülle, Versuchung und Kraft.


Glücksbringer, Opfer, Spiegel

Im 20. Jahrhundert erfährt das Bild des Schweins eine weitere Wandlung. Als Neujahrsschwein – ob in Marzipan oder Keramik – wird es zum populären Glückssymbol. Die frühere Ambivalenz weicht einer heiteren Deutung: Wohlstand, Lebensfreude und Neubeginn. In der Kunst dagegen bleibt die Vieldeutigkeit erhalten. Das Schwein ist Opfer und Täter, Objekt und Allegorie, Heiliges und Profanes zugleich – ein universelles Symbol menschlicher Natur, das zwischen Spott und Empathie changiert.

 


Mensch und Schwein – eine uralte Verbindung

Die anhaltende Faszination für das Schwein gründet in seiner Nähe zum Menschen – biologisch, sozial und symbolisch. Seit Jahrtausenden begleitet es die Menschheit: als Nahrung, Opfergabe, Metapher und Spiegel. In ihm verbinden sich der irdische Alltag und mythische Erhabenheit, Dreck und Göttlichkeit. Vom kalydonischen Eber der Antike bis zu modernen Installationen über Fleischkonsum, Ethik und Identität zieht sich ein gemeinsamer Gedanke: Das Schwein ist ein Tier der Extreme – und gerade deshalb ein ideales Motiv für künstlerische Reflexion über den Menschen selbst.

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