16.11.2021

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Das Kulturerbe Afghanistans ist in Gefahr

um um Welterbestätten wie das historische Minarett von Dscham (Abb. Detail) zu bewahren. Foto: Wikimedia Commons / David
um um Welterbestätten wie das historische Minarett von Dscham (Abb. Detail) zu bewahren. Foto: Wikimedia Commons / David

Durch die erneute Machtübernahme der Taliban sind nicht nur die afghanischen Welterbestätten bedroht. Der Archäologe Bastien Varoutsikos fürchtet vor allem um das Immaterielle Kulturerbe Afghanistans 

um um Welterbestätten wie das historische Minarett von Dscham (Abb. Detail) zu bewahren. Foto: Wikimedia Commons / David
Die UNESCO hat zum Schutz des kulturellen Erbes in Afghanistan aufgerufen, um Welterbestätten wie das historische Minarett von Dscham (Abb. Detail) zu bewahren. Foto: Wikimedia Commons / David

Es ist in Gefahr: das immaterielle Kulturerbe Afghanistans

Die UNESCO hat zum Schutz des kulturellen Erbes in Afghanistan aufgerufen. Mit der Übernahme des Landes durch die Taliban sei dieses extrem gefährdet. Generaldirektorin Audrey Azoulay fordert, alle nötigen Vorkehrungen zu treffen, um Welterbestätten wie die Altstadt von Herat oder das historische Minarett von Dscham vor Schäden und Plünderungen zu bewahren. In den vergangenen Jahrzehnten wurden bereits viele historische Stätten und Kulturgüter bei kriegerischen Auseinandersetzungen geplündert und zerstört, darunter 2001 zwei monumentale Buddha-Statuen im Bamiyan-Tal.

Der Archäologe Bastien Varoutsikos fürchtet, dass zudem eine möglicherweise noch größere Zerstörung – „unerzählt und ungesehen“ – im Gange sei, nämlich die des immateriellen Kulturerbes (IKE)“. Die Musik, Poesie, Traditionen und Handwerke seien unter der ultrakonservativen Herrschaft der Taliban und dem wirtschaftlichen Chaos der anhaltenden Konflikte besonders anfällig. „Die IKE sind mit dem Wohlergehen der Gemeinschaft und der Individuen verbunden und reagieren daher besonders sensibel auf gesellschaftliche Umbrüche“, so Varoutsikos. Das immaterielle Kulturerbe Afghanistans reicht von jahrtausendealten Volksmärchen und Liedern bis hin zu geschnitzten Jali-Gitterwerken, von der Rezitation eines Ghazal-Gedichts bis hin zu den Nowruz-Feierlichkeiten.

Varoutsikos verweist darauf, dass die Taliban von 1996 bis 2001 Afghanistan regierten und dabei versuchten, ein neues moralisches und kulturelles Narrativ zu schaffen. Obwohl sie in nicht für die gesamte Zerstörung im Lande verantwortlich zu machen seien, hätten ihre ikonoklastischen Zwänge und ultrakonservativen Entscheidungen, zusammen mit der allgemeinen Vertreibung der Bevölkerung und dem wirtschaftlichen Chaos, das afghanische IKE stark beeinflusst. Die Taliban untersagten die Herstellung von Instrumenten oder traditionelle Feiern. Mit dem Verbot von Nowruz, dem persischen Neujahrsfest, versuchten sie, ein tausendjähriges Ritual zu zerstören, das tief in der afghanischen Identität verwurzelt ist. Nowruz bietet alljährlich eine Gelegenheit für Familien, sich zu treffen und zu feiern, Gebäck und das traditionelle Sieben-Frucht-Gericht zu teilen.  In Mazar-I Sharif versammeln sich Gemeinden aus ganz Afghanistan, um am Schrein von Hazrat ‘Ali zu feiern, wo die Kupferschmiedegilde der Stadt alle zusammenbringt, um die quba (Kuppeln) der Stätte zu reinigen. Im Vorfeld der Veranstaltung werden die Ärmsten der Stadt verköstigt, während Gläubige die Werkstatt besuchen. „Das Verbot von Nowruz ging über das Verbot einer religiösen Feier hinaus“, so Varoutsikos, „es wurde eingesetzt, um das soziale Gefüge der afghanischen Gesellschaft zu zerstören“.

Dennoch sei die Kulturerbe-Community in Afghanistan heute viel stärker ist als vor 30 Jahren. Dank zweier Jahrzehnte der Zusammenarbeit zwischen afghanischen Archäologen und internationalen Experten haben das Ministerium für Information und Kultur, das afghanische Nationalmuseum sowie lokale und internationale Organisationen dazu beigetragen, das archäologische und architektonische Inventar des Landes, die Überwachung von Ausgrabungen, die Restaurierungen von Kulturerbestätten und die Dokumentation des immateriellen Erbes zu verbessern. Diese Arbeit werde in den kommenden Monaten und Jahren von zentraler Bedeutung sein, um die Identität des Landes zu schützen und müsse weiterhin unterstützt werden.

In Afghanistan und im Ausland werde das immaterielle Kulturerbe Afghanistans von den Gemeinschaften gepflegt, entwickelt und angepasst. Nationale und internationale Organisationen müssten dazu beitragen, die letzten identitätsstiftenden Praktiken derer zu bewahren, die alles verloren haben. Varoutsikos‘ Plädoyer ist eindringlich: „Überall in der Diaspora, in Flüchtlingslagern – und sogar in ganz Afghanistan selbst – muss mehr und nicht weniger getan werden, um die afghanischen Traditionen lebendig zu erhalten.“

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