Das Bergwerk Rammelsberg bei Goslar im Harz zählt zu den bedeutendsten Zeugnissen der europäischen Bergbaugeschichte. Gemeinsam mit der Altstadt von Goslar und der Oberharzer Wasserwirtschaft bildet es seit der Erweiterung im Jahr 2010 eine UNESCO-Welterbestätte von außergewöhnlichem universellen Wert. Über mehr als 1 000 Jahre wurde hier Erz gefördert – ein Zeitraum, der den Rammelsberg zu einem einzigartigen Symbol technologischer Entwicklung, wirtschaftlicher Macht und kultureller Identität macht.
Aufnahme in die UNESCO-Welterbeliste
Die UNESCO zeichnete das Bergwerk Rammelsberg und die Altstadt von Goslar im Jahr 1992 als Weltkulturerbe aus – als erste deutsche Stätte, die sowohl ein Industrie- als auch ein Stadtdenkmal vereinte. Im Jahr 2010 wurde das Ensemble um die Oberharzer Wasserwirtschaft erweitert. Dieses historische System aus Teichen, Gräben und unterirdischen Wasserläufen diente über Jahrhunderte der Energieversorgung des Bergbaus und gilt als eines der größten und komplexesten vorindustriellen Wasserwirtschaftssysteme der Welt.
Die Welterbestätte erfüllt mehrere UNESCO-Kriterien:
- (i) als Meisterwerk menschlicher Schöpferkraft,
- (ii) als Zeugnis des Austauschs technischer und kultureller Werte,
- (iv) als herausragendes Beispiel einer historischen Industrie- und Kulturlandschaft.
Geschichte und Entwicklung
Die Geschichte des Rammelsbergs reicht über ein Jahrtausend zurück. Bereits im 10. Jahrhundert wurde hier Silbererz abgebaut, was der nahe gelegenen Stadt Goslar großen Wohlstand brachte. Unter Kaiser Otto III. wurden die ersten Bergrechte erteilt, und im Hochmittelalter entwickelte sich der Rammelsberg zu einem Zentrum des deutschen Silberbergbaus. Im Verlauf der Jahrhunderte wurde der Abbau technisch ständig verfeinert. Neue Methoden der Förderung, Entwässerung und Erzaufbereitung entstanden, um immer tiefere Lagerstätten zu erschließen. Besonders prägend war die Nutzung von Wasserkraft – zunächst mit Wasserrädern, im Spätmittelalter schließlich über die Oberharzer Wasserwirtschaft, die Gruben mit Energie versorgte. Im 19. Jahrhundert begann die konsequente Industrialisierung des Bergbaus. Mechanische Fördersysteme, Aufbereitungsanlagen und neue Schächte (wie der Ernst-August-Schacht) modernisierten den Betrieb. Nach der Stilllegung am 30. Juni 1988 – nach über 1 000 Jahren fast ununterbrochenen Abbaus – wurde das Werk 1990 in ein Museum und Besucherbergwerk umgewandelt.
Architektur, Technik und Anlagen
Der Rammelsberg steht exemplarisch für den Übergang vom handwerklichen zum industriellen Bergbau. Die Anlage umfasst zahlreiche historische Bauwerke und technische Einrichtungen:
- Der Rathstiefste Stollen (12. Jahrhundert) gilt als einer der ältesten erhaltenen Wasserlösungsstollen Europas.
- Das Feuergezähegewölbe aus dem 13. Jahrhundert ist der älteste gemauerte Grubenraum Europas.
- Die monumentalen Aufbereitungsanlagen der 1930er Jahre, entworfen von Fritz Schupp (Architekt der Zeche Zollverein), repräsentieren die sachlich-funktionale Industriearchitektur der Moderne.
- Erhaltene Fördermaschinen und Erzaufzüge aus dem frühen 20. Jahrhundert zeigen den Stand der technischen Entwicklung.
Die Oberharzer Wasserwirtschaft erweitert das Ensemble um über 100 Teiche, rund 310 Kilometer Gräben und etwa 30 Kilometer Wasserläufe. Dieses System nutzte Wasserkraft, um Pumpen, Aufzüge und Pochwerke zu betreiben – ein frühes Beispiel nachhaltiger Ressourcennutzung in der Industriegeschichte.
Bedeutung für Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft
Über Jahrhunderte war der Rammelsberg der wirtschaftliche Motor der Region. Der Silberreichtum finanzierte die Blütezeit Goslars als Reichs- und Hansestadt. So wurde der Bergbau zum Fundament von Macht, Wohlstand und bürgerlicher Kultur. Zugleich zeugt die Geschichte des Rammelsbergs von den sozialen und technologischen Herausforderungen des Bergbaus: harter Arbeit, Lebensgefahr unter Tage und einer engen Beziehung zwischen Mensch, Natur und Technik. Der Berg wurde zum Lebensraum und Identitätsträger vieler Generationen. Heute steht der Rammelsberg als Symbol des industriellen Erbes Europas. Seine Anerkennung durch die UNESCO unterstreicht, dass Industriegeschichte ein gleichwertiger Teil des kulturellen Gedächtnisses ist – neben Palästen, Kirchen und Altstädten.
Besuchserlebnis und Vermittlung
Das UNESCO-Welterbe Rammelsberg ist heute ein lebendiges Museum. Besucher erkunden original erhaltene Stollen, Maschinenräume und Aufbereitungsanlagen. Unterschiedliche Führungen – etwa Abenteuer Unter Tage im mittelalterlichen Rathstiefsten Stollen oder Aufbereitung erleben in den Gebäuden der 1930er Jahre – machen verschiedene Epochen des Bergbaus erfahrbar. Über Tage widmet sich das Museumsensemble thematischen Ausstellungen zur Bergbau-, Stadt- und Technikgeschichte. Sonderausstellungen, Vorträge und Workshops ergänzen das Programm. Auch Familienangebote, darunter die beliebte Kinderführung Grubenlicht und Erzstaub, schaffen ein breites museumspädagogisches Spektrum. Ein weiteres Highlight ist der Welterbe-Weg, der den Rammelsberg mit der Altstadt von Goslar verbindet und die Einheit von Industrie, Stadtentwicklung und Landschaft im Harz erlebbar macht.
Offizielle Informationen, Führungszeiten und Online-Tickets bietet die Stiftung Welterbe im Harz auf ihrer Website.
Ein einzigartiges Erbe der Menschheit
Das Bergwerk Rammelsberg ist weit mehr als ein ehemaliges Industrierevier. Es steht als Zeugnis menschlicher Schaffenskraft und kultureller Entwicklung über ein Jahrtausend hinweg. Die enge Verflechtung von Bergbau, Wasserwirtschaft und Stadtgeschichte macht das Welterbe im Harz zu einem exemplarischen Ort des europäischen Industriezeitalters – einem Ort, an dem Geschichte buchstäblich „unter Tage“ erlebbar wird. Ein Besuch am Rammelsberg ist eine Reise in die Tiefe – geologisch und historisch gleichermaßen. Für kulturhistorisch Interessierte, Technikfreunde und Familien bietet dieser Ort ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie eng Mensch, Natur und Technologie über Jahrhunderte miteinander verbunden waren.
