18.05.2022

Museum

Chinesisches Kabinett im Kloster Neustift entdeckt

Restaurator Hubert Mayr und Mitarbeiter bei Freilegung

Restaurator Hubert Mayr mit seinem Team bei der Freilegung. Foto: Stiftsmuseum Neustift / Hanns-Paul Ties

Die Stiftsbibliothek des Augustiner Chorherrenstifts Neustift drei Kilometer nördlich von Brixen gilt als einer der schönsten Profanräume des 18. Jahrhunderts in Südtirol. Im Vorraum des prächtigen Bibliothekssaals wurde jetzt bei der Erweiterung des Stiftsmuseums eine bis dahin unbekannte und ungewöhnlich gut erhaltene Raumausstattung aus dem 18. Jahrhundert entdeckt: ein Chinesisches Kabinett. RESTAURO traf Museumskurator Dr. Hanns-Paul Ties vor Ort

Restaurator Hubert Mayr und Mitarbeiter bei Freilegung. Foto: Stiftsmuseum Neustift / Hanns-Paul Ties

Chinesisches Kabinett bei der Erweiterung des Stiftsmuseums entdeckt

Es gilt als eines der bedeutendsten Klöster im gesamten Tiroler Raum: Das Augustiner Chorherrenstift Neustift drei Kilometer nördlich von Brixen im Eisacktal. Die mit eleganten, teils vergoldeten Rokoko-Stuckaturen geschmückte Stiftsbibliothek ist einer der schönsten Profanräume des 18. Jahrhunderts in Südtirol und zählt zu den beeindruckendsten Bibliothekssälen des süddeutschen Raums.

In einem Nebenraum des prunkvollen Bibliothekssaals, der einst wohl als repräsentativer Empfangs- und Festraum diente, wurde im Frühjahr 2021 bei der Erweiterung des Stiftsmuseums eine bis dahin unbekannte und ungewöhnlich gut erhaltene Raumausstattung aus dem 18. Jahrhundert freigelegt: ein Chinesisches Kabinett. Das Landesdenkmalamt bezeichnet den Fund als kunsthistorische Sensation. „Es sind weltliche Fresken aus der Zeit des Rokoko, sogenannte Chinoiserien“, erläutert Landeskonservatorin Dr. Karin Dalla Torre. „Wir haben in Südtirol nicht viele Beispiele – und das ist ein besonders Schönes. Es war ein festlicher Raum, ein Empfangsraum, vielleicht, um Gäste zu bewirten und um das große Erlebnis der Bibliothek vorzubereiten.“ 

Heitere Wandmalereien in zarten Pastelltönen mit idyllischen Landschaften und exotischen Tieren

Alle vier Wände schmücken idyllische Landschaftsbilder mit asiatischen Figuren sowie chinesischer Architektur. Medaillons mit exotischen Tieren und der chinesische Drache, der für Glück und Stärke steht, ergänzen das Bildprogramm. „Die heiteren Wandmalereien in zarten Pastelltönen mit idyllischen Landschaften und exotischen Tieren zeugen von der für die europäische Kultur des Rokoko charakteristischen Asien-China-Begeisterung,“ erklärt Museumskurator Dr. Hanns-Paul Ties. In zahlreichen weltlichen, aber auch geistlichen Residenzen entstanden damals derartige chinoise Raumausstattungen. „Genährt wurde diese Mode durch die Schilderungen der Missionare – vor allem aus dem Jesuitenorden – sowie durch teils erfundene Reiseberichte.“ Die Wandmalereien in Neustift zeigen chinesische Alltagsszenen, führt der Museumskurator weiter aus. „Jene an der Ost- und Westwand symbolisieren die vier Elemente Erde, Luft, Feuer und Wasser.“ 

Ostasiatisches Porzellan, Lackmöbel und Seidentapeten galten als Symbol für Luxus

Räume im chinesischen Stil einzurichten, war im ausgehenden 18. Jahrhundert große Mode. Die Begeisterung für die vermeintlich heile Welt Chinas schlug sich damals an fast allen europäischen Fürstenhöfen in einer exotisch anmutenden Ausstattung von Schlaf- und Ankleidezimmern und in der pagodenartigen Gestaltung von Gartenpavillons nieder. Ostasiatisches Porzellan, Lackmöbel und Seidentapeten galten als Symbol für Luxus schlechthin. Bis heute sind etwa in Schloss Schönbrunn die sich spiegelbildlich gegenüberstehenden Chinesischen Kabinette erhalten geblieben. 

Vorbild für Neustift: Die Raumausstattung der Innsbrucker Hofburg

„Die Vorbilder der Neustifter Raumausstattung allerdings wohl in der Innsbrucker Hofburg finden,“ erklärt Hanns-Paul Ties. Denn der damalige Neustifter Prälat Leopold I. von Zanna zu Königstein – er ließ den Bibliothekstrakt in den frühen 1770er Jahren neu errichten –, kannte vermutlich die Räume der Innsbrucker Hofburg: Als Mitglied des Tiroler Landtags hielt er sich immer wieder in Innsbruck auf. „In der Innsbrucker Hofburg und im benachbarten Adeligen Damenstift haben sich in gleich drei Räumen Malereien mit Chinoiserien erhalten, die um 1772/73 von einem oder mehreren namentlich nicht bekannten Künstlern im Auftrag Maria Theresias ausgeführt wurden. Angesichts der überaus engen stilistischen und motivischen Verwandtschaft liegt es nahe, die neu entdeckten Malereien in Innsbruck und Neustift ein und demselben Künstler zuzuschreiben.“

Wohl ein repräsentativer Empfangs- und Festraum

Möglicherweise holte Zanna also den zuvor in der Innsbrucker Hofburg tätigen Maler für einen ähnlichen Auftrag nach Neustift. „Die bisher konsultierten Quellen im Stiftsarchiv (Prälatenrechnungen, Inventare etc.) enthalten keine Hinweise auf das Entstehungsjahr und den Künstler der Malereien sowie auf die ursprüngliche Nutzung des Raumes“, weiss Hanns-Paul Ties. „Aus stilistischen Gründen ist eine Ausführung der Gemälde bald nach der Fertigstellung der Bauarbeiten um 1775/80 – in jedem Fall aber noch zu Lebzeiten des Prälaten Zanna (gest. 1787) – anzunehmen.“ Kurator Hanns-Paul Ties vermutet, dass es sich bei dem Raum um einen repräsentativen Empfangs- und Festraum gehandelt hat. „Gerade die gemalten Porzellanschalen mit Trauben und anderen lokalen Obstsorten unterhalb der Hauptbilder lassen daran denken, dass hier ausgewählten Gästen auch kulinarische Köstlichkeiten aus der Landwirtschaft des Stiftes serviert wurden.“

Freilegung und Restaurierung der Malereien durch Hubert Mayr

2020 wurden im Zuge der Erweiterung des Stiftsmuseums in dem Vorraum der Bibliothek Schränke entfernt und die Wände auf ältere Farbschichten hin untersucht. Dabei entdeckte man Spuren von Wandmalereien aus der Zeit des Rokoko. In Absprache mit dem Landesdenkmalamt entschloss man sich Anfang 2021, bei dem Restaurator Hubert Mayr die Freilegung und Restaurierung der Malereien in Auftrag zu geben.

Erfahren Sie mehr über das kulturelle Erbe Südtirols in unserem Südtirol-Special: RESTAURO 3/2022.

Tipp: Was macht einen Ort zu einem identitätsstiftenden Ort? Wie kann die bauliche Identität vor Ort bewahrt werden kann? Und welche Voraussetzungen für eine öffentliche Bewusstseinsbildung sollte dafür geschaffen werden? Das waren die Themen, die im Herbst 2021 im Rahmen der hybridenTagung „Identitätsstiftende Orte“ des Heimatpflegeverbands Südtirol in Kooperation mit der Architekturstiftung Südtirol besprochen wurden.

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